OVG-Urteil: Grüne fordern differenzierte und inklusive Öffnungsstrategie

Verhältnismäßigkeit prüfen, mildere Mittel bereitstellen!


Vor dem Hintergrund des OVG-Urteils zur teilweisen Rechtswidrigkeit der aktuellen Einschränkungen im Einzelhandel fordern die Grünen im Saarland eine differenzierte und inklusive Öffnungsstrategie, die einerseits auf einer neuen Risikobewertung und andererseits auf Öffnungen für Negativgeteste basiert. Es gelte die Verhältnismäßigkeit bei allen Einschränkungen zu überprüfen und verfügbare mildere Mittel als die aktuellen Beschränkungen bereitzustellen. Mit diesen Mitteln könne ein Mittelweg zwischen einer gefährlichen vorschnellen Öffnung und einem schlichten Fortführen des Lockdowns geschaffen werden. Hierfür müsse der Staat jetzt die Voraussetzungen schaffen: schnelle Impfung, massenhafte Tests und ein einheitliches System zur Erfassung von Negativgetesten.

Hierzu erklärt Barbara Meyer-Gluche, Generalsekretärin der Saar-Grünen:


„Die Politik ist gefordert, rechtssichere Verordnungen zu erlassen. Sie muss ihrer Verantwortung gerecht werden und darf nicht warten, bis Gerichte entscheiden, wer welche Freiheitsrechte wiedererlangt. Wenn nun Gerichte einzelnen Maßnahme kippen, droht ein Flickenteppich an Regelungen. Die Folge hiervon sind ein weitgreifender Vertrauensverlust der Bevölkerung und letztlich gesellschaftliche Konflikte.


Mit Impfungen und Tests gibt es inzwischen mildere Mittel zur Bekämpfung der Pandemie als die umfassenden Beschränkungen. Es gibt damit eine echte Alternative zwischen den beiden schlechten Varianten einer breiten und undifferenzierten Öffnung auf der einen Seite und der schlichten Verlängerung des Lockdowns auf der anderen Seite.


Zentral hierbei ist, dass die Voraussetzungen für diesen alternativen Weg jetzt vordringlich geschaffen werden. Die gesamte politische Kraft muss jetzt darauf gerichtet werden, diese milderen Mittel für diese Alternative zu schaffen: schnelle Impfungen, massenhafte Tests und ein einheitliches System zur Erfassung von Geimpften und Getesteten. Das Saarland könnte hier eine Vorreiterrolle einnehmen und als Modellregion für eine differenzierte und inklusive Öffnungsstrategie fungieren.“

 

Eine differenzierte und inklusive Öffnungsstrategie besteht dabei aus folgenden Säulen:


1. Schaffung der Voraussetzungen für eine differenzierte und inklusive Öffnungsstrategie


Voraussetzung für eine differenzierte und inklusive Öffnungsstrategie ist, dass

a) Menschen mit hohem Risiko für schwere Krankheitsverläufe geimpft sind,
b) jeder die Möglichkeit hat, getestet zu werden,
c) es ein einheitliches System zur Erfassung von Getesteten und Geimpften gibt.

Diese Voraussetzungen müssen jetzt geschaffen werden. Wünschenswert ist dabei, dass so schnell wie möglich geimpft wird und jedem schnellstmöglich ein Impfangebot gemacht wird. Durch die Erhöhung der Impfstoffproduktion müssen zweite Dosen nicht länger zurückgehalten werden. Jede verimpfte Dosis kann einen Beitrag dazu leisten, das Virus zu besiegen.

Um schwere Krankheitsverläufe zu verhindern, sollte aber in jedem Fall an der Priorisierung der Ständigen Impfkommission festgehalten werden. Nur dann ist es auch vertretbar, wie unter Punkt 2 beschrieben, einen anderen Maßstab als die reine Inzidenzzahl zugrunde zu legen.

Voraussetzung für die Aufhebung von Beschränkungen für Negativgetestete (Punkt 3) ist, dass jedem diskriminierungsfrei die Möglichkeit eröffnet wird, sich in regelmäßigen Abständen testen zu lassen. Voraussetzung ist eine durchdachte, praktikable und wirksame Teststrategie. Der Negativtest muss in einem manipulationssicheren und einheitlichen System festgehalten werden. Als System bietet sich hierfür die Luca-App oder aber eine Erweiterung der Corona-Warn-App um die Funktionen der Luca-App an.

 

2. Ein neuer Maßstab für die Aufrechterhaltung von Beschränkungen


Sobald die Gruppe der Menschen geimpft ist, die ein hohes Risiko haben, schwer an Corona zu erkranken oder zu sterben, ist es mit Blick auf die umfassenden derzeitigen Grundrechtseingriffe geboten, eine neue Risikoabwägung vorzunehmen und Risiken neu ins Verhältnis zu setzen. Wenn das Risiko schwer an Corona zu erkranken oder zu sterben drastisch sinkt, ist der starre Blick auf die Infektionszahlen und Inzidenzen nicht mehr angebracht.

Darauf zielt auch das OVG in seinem Urteil ab, indem es kritisiert, dass der eigentliche Grund für den Grundrechtseingriff – nämlich das Verhindern einer Überlastung des Gesundheitssystems – nicht mehr vorliegt und damit als Rechtfertigung nicht mehr gelten kann.


Dies entspricht auch der jüngsten Empfehlung des Ethikrates. Er empfiehlt einen neuen Indikator, der Hospitalisierungszahlen oder Zahlen schwerer Krankheitsverläufe und Todesfälle. Eine Möglichkeit wäre, die zwischenzeitlich akzeptierte Inzidenzzahl anzupassen an den Anteil der schwer erkrankten an allen Infizierten. Auch der R-Wert sollte in einem Indikatorenset einbezogen werden, um weiterhin ein unkontrolliertes Wachstum der Infiziertenzahlen auszuschließen.

 

3. Aufhebung von Beschränkungen bei Negativtest

Für Grenzgänger*innen gilt derzeit ein Negativtest als Einreisebedingung. Pendler*innen können sich bis zu viermal wöchentlich einem kostenlosen Schnelltest unterziehen, so wird sichergestellt, dass ihr letzter Test nie mehr als 48 h zurückliegt. Das kann als Vorbild für eine differenzierte Öffnungsstrategie dienen.


Wer ein entsprechend negatives Testergebnis nachweisen kann, sollte Tätigkeiten wieder nachgehen können und beispielsweise wieder Restaurants, Kultur-Veranstaltungen, Kinos etc. besuchen dürfen.


Sobald umfassend nachgewiesen ist, dass auch von Geimpften kein oder nur ein minimales Risiko einer Infektion ausgeht, sollte auch eine Impfung als Nachweis für die Aufhebung von Beschränkungen gelten. Beides muss wie unter Punkt 1 beschrieben in einem einheitlichen, diskriminierungsfreien und manipulationssicheren System festgehalten und nachgewiesen werden.