Saar-Grüne zum Rechnungshofbericht: Kultusministerium boykottiert Frankreichstrategie!

Frankreichstrategie im Schulbereich gescheitert
Volker Morbe, Bildungsexperte und Vorsitzender der Saar-Grünen, sieht die Frankreichstrategie im Schulbereich angesichts stark gesunkener Schülerleistungen als bisher weitgehend gescheitert an. Befürwortet wird der Vorschlag der Präsidentin des saarländischen Rechnungshofes, Annette Groh, dass beim Französischlernen in saarländischen Schulen das Ablegen von Sprachzertifikaten als Nachweis der erworbenen Französischkenntnisse stärker in den Mittelpunkt gerückt werden sollte (SZ vom 14.3.2025). Hintergrund sei, dass das Bildungsministerium den saarländischen Schulen seit Jahren objektive Leistungsrückmeldungen vorenthält. Mit der Folge, dass in den letzten Jahren die Leistungen saarländischer Schüler*innen in Französisch und Englisch im Länderranking (letzter Platz im Bildungstrend 2022) stark gesunken sind. Von Bildungsministerin und Bildungsministerium wie von der Staatskanzlei fordert Morbe dringend eine Bildungswende mit regelmäßigen objektiven Leistungsrückmeldungen vor allem an die Grund- und Gemeinschaftsschulen. Darauf aufbauen müsste eine stärkere und transparentere Förderung der Schüler*innen, damit diese die von der KMK vorgegebenen Kompetenzniveaus in Französisch und Englisch auch nachweisbar erreichen könnten.

Bedeutung objektiver Leistungsnachweise durch Sprachzertifikate
Morbe weist darauf hin, dass der Vorschlag des Rechnungshofes ja darauf abziele, die tatsächlich erreichten Sprachkompetenzniveaus im Französisch- und Englischunterricht zu ermitteln und transparenter zu machen. Dies sei möglich, weil anders als bei vielen anderen Feldern der kürzlich überarbeiteten Frankreichstrategie+ die Ziele des Französischlernens (wie auch des für die Frankreichstrategie ebenfalls wichtigen Englischlernens) an den verschiedenen Schulformen klar definiert seien durch Kompetenzniveaus, die am Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) ausgerichtet sind. Morbe: „Sprachenzertifikate sind deshalb von großer Bedeutung für die Schulen, weil sie nur dann vergeben werden, wenn valide und objektive Tests das Erreichen der entsprechenden Sprachkompetenzen bestätigen. Sie motivieren Schüler*innen und bestätigen durch die Anerkennung ‚von außen‘ das Sprachenlernen. Auch von Lehrkräften werden geeignete Sprachzertifikate geschätzt, weil diese auch die Qualität ihrer Unterrichtsarbeit ausweisen.“

Eliminierung von Sprachzertifikaten an Gemeinschaftsschulen
Morbe sieht es als problematisch an, dass entgegen dem Wunsch der Rechnungshofpräsidentin schon seit Jahren von den Gemeinschaftsschüler*innen praktisch keine Sprachenzertifikate mehr erworben werden könnten, an den Gymnasien in Französisch auch eher wenige. Auch eine standardbezogene landeszentrale Abschlussprüfung wird seit 2020 nicht mehr durchgeführt. Die Französisch- und Englischnoten der Schüler*innen würden bis einschließlich dem Mittleren Bildungsabschluss seit mehreren Jahren nur auf der Grundlage der subjektiven Einschätzung jeweils einer Lehrkraft vergeben. Morbe hierzu: „Weil die Einschätzungen der Lehrkräfte so unterschiedlich sind wie die Lehrerpersönlichkeiten und ihre fachlichen Kompetenzen und Einstellungen, gerät durch diese ausschließliche Praxis die Bildungsgerechtigkeit hierzulande arg ins Hintertreffen! Die subjektiven Leistungsrückmeldungen sind dringend durch objektive zu ergänzen: Sprachzertifikatsprüfungen sind ebenso wie landeszentrale Prüfungen mit niveauangemessenen und standardisierten Aufgaben geeignet, die Sprachkompetenzstände der Schüler*innen angemessen, gerecht und fair abzubilden. Die Praxis, dass in den letzten Jahren an Gemeinschaftsschulen im Saarland Abschlüsse vergeben werden, ohne dass alle Schüler*innen nachweislich und nachvollziehbar über die vorgeschriebenen Fachkompetenzen verfügen, muss beendet werden. Zum Teil erreichen sie nicht einmal die Mindeststandards der KMK.

Beendete Kooperation mit TELC und IHK
Morbe weist darauf hin, dass den Rechnungsprüfer*innen bei ihrer Untersuchung wohl entgangen sei, dass noch bis 2019 alle saarländischen Gemeinschaftsschüler*innen im schulischen Rahmen mehrere Sprachzertifikate anerkannter Sprachzertifizierungsunternehmen erwerben konnten. So erwarben seit 2002 jährlich 500-700 Schüler*innen nach bestandener schriftlicher Prüfung für den Mittleren Bildungsabschluss in Französisch und Englisch und einer zusätzlichen mündlichen Prüfung kostengünstig und ohne großen Aufwand das europaweit anerkannte Europäische Sprachenzertifikat B1 in Französisch und/oder Englisch. Möglich machte dies ein Kooperationsabkommen des Bildungsministeriums mit dem größten deutschen Sprachenzertifizierungsunternehmen, der TELC gGmbH. Das Bildungsministerium hat die für die Schüler*innen sehr fruchtbare Zusammenarbeit 2020 beendet, indem es seitdem bis heute keine landeszentrale Prüfung für den mittleren Bildungsabschluss mehr durchführt.

Ebenfalls beendet worden sei 2019 die Zusammenarbeit mit der IHK des Saarlandes, die ein A1-Zertifikat für den in der Gemeinschaftsschule neu geschaffenen zweistündigen Sprachkurs als Evaluationsinstrument am Ende der 6. Klasse zur Verfügung gestellt hatte. Die Zertifikatsprüfung wurde von allen Schüler*innen abgelegt. Da im Sprachkurs in erster Linie auf mündliche Kommunikationssituationen in Alltag und Beruf vorbereitet wurde, wurden Hörverstehen und Sprechen überprüft. In der Folge erwarben mehr als 3000 Gemeinschaftsschüler*innen jährlich kostenlos eine von Kultusminister und IHK-Präsident unterschriebene Sprachkompetenzbescheinigung Französisch oder Englisch. „Dass rund 90 % der Schüler*innen am Ende der 6. Klasse ein ‚Certificat de Français A1‘ oder ein ‚English Certificate A1‘ überreicht werden konnte, wurde von Schulleiter*innen, Lehrkräften und Schüler*innen wertgeschätzt. Ersetzt wird der zielgerichtete Sprachkurs (Stufe A1 des GER) ab dem kommenden Schuljahr durch einen ‚sprachbildenden‘ obligatorischen Französisch- oder Englischunterricht ohne klar definierte Zielangabe und ohne Zertifikat. Dieser Unterricht wird gerade in Französisch von den meisten Schulleiter*innen offen abgelehnt. Wie diese sind wir Grünen der Meinung, dass Französisch und Englisch in Ergänzung zur jeweiligen 1. Fremdsprache von denjenigen Schüler*innen gelernt werden sollten, die keine starken Kompetenzdefizite in Deutsch aufweisen und motiviert sind. In diesem Falle könnte mit der IHK über eine Wiederaufnahme der Kooperation gesprochen werden.“

Forderung nach ehrlicher Bildungspolitik mit regelmäßigen, objektiven Leistungsrückmeldungen
Zusammenfassend fordert Volker Morbe von Bildungsministerium und Staatskanzlei mehr Ehrlichkeit und Transparenz angesichts des offensichtlichen Versagens bei der Französisch- und Englischförderung: „Bisher schafft es das Saarland im Gegensatz zu anderen Bundesländern ja nicht einmal, alle Vorschul-Kinder mit fehlenden Deutschkompetenzen zu identifizieren und gezielt zu fördern, bevor sie in die Grundschule eintreten. Die in der Frankreichstrategie propagierte Stärkung der Französischförderung im Vorschulbereich erscheint vor diesem Hintergrund nachrangig. Bildungsministerium und Staatskanzlei müssen sich ‚ehrlich machen‘ und sich damit auseinandersetzen, dass Französisch in den Schulen des Saarlandes noch nie so schlecht und unmotiviert gelernt wurde wie in den letzten Jahren. Aus unserer Sicht ist dringend erforderlich, den Schulen, Eltern und Schüler*innen regelmäßige objektive Leistungsrückmeldungen zukommen zu lassen. Aufgebaut werden sollte schnellstmöglich zumindest für die allgemeinbildenden Schulen ein leistungsfähiges und regelmäßiges Bildungsmonitoring nach dem Modell Hamburgs mit darauf aufbauenden individuellen Fördermaßnahmen. Auch sollten schnellstmöglich sinnvolle Englisch- und Französischzertifikate für das Französischlernen wieder motivieren und die erreichten Kompetenzen ausweisen. Das vom Bildungsministerium vorgeschlagene ‚B1- DELF scolaire intégré‘-Zertifikat dürfte an Gemeinschaftsschulen keine Bedeutung erlangen, weil es neben der geplanten landeszentralen Abschlussprüfung für den mittleren Bildungsabschluss ab 2027 eine weitere zentrale Prüfung erforderlich machte. Dies würde Lehrkräfte und Schüler*innen stark belasten. Von fundamentaler Bedeutung für steigende Schülerleistungen ist auch die Einführung einer landeszentralen Prüfung, die alle Kompetenzbereiche niveauangemessen überprüft. Das Format (nur Hörverstehen und Leseverstehen werden überprüft) und die Bewertungsvorgaben der vom Bildungsministerium für 2027 projektierten neuen MBA-Abschlussprüfung Französisch und Englisch, die am 13. Februar 2025 als Teil der landeszentralen Vergleichsarbeit (‚Lernstandserhebung‘) in den 10. Klassen der Gemeinschaftsschulen durchgeführt wurde, überzeugt qualitativ in keiner Weise. Konnte ein*e Schüler*in in dem standardisierten Test 20 % der Aufgaben mit Wissen richtig lösen (ankreuzen) und wurde der Rest der Aufgaben durch bloßes Raten angekreuzt, so wurden nach der Zufallswahrscheinlichkeit insgesamt 50 Prozent der Gesamtpunkte erreicht und damit eine glatt ausreichende Note. Absurder kann man Leistungsanforderungen nicht senken. Zertifikatsanbieter setzen bei solchen Tests die Bestehensgrenze auf 60 % oder 70 %. Dies deutet darauf hin, dass dem Bildungsministerium als oberster Schulaufsichtsbehörde jede Expertise in Bezug auf Leistungsanforderungen und Bewertung abhandengekommen ist!“

Appell an die Landesregierung
Volker Morbe abschließend: „Das Bildungsministerium torpediert nicht nur die Frankreichstrategie, was schon schlimm ist. Es unterminiert auch die wirtschaftliche Zukunft des Saarlandes, was zahlreiche Indikatoren belegen. Frau Rehlinger, werden Sie aktiv!“